Mittwoch, 2. Dezember 2009

Indien und die Welt erklären


Ein bisschen sind ja diese Einträge hier schon der Versuch, Indien zu erklären, soweit ich es selber irgendwie verstanden habe. Zum Glück gibt es Schriftsteller, die genau das auch noch unglaublich unterhaltsam in einen Roman packen. Der beste Indien-Roman soweit: "Rohinton Mistry's Fine Balance" - zu Deutsch: "Das Gleichgewicht der Welt".

Die Hauptakteure finden zufällig im Indien der 70er Jahre zueinander und ihr Schicksal bleibt die nächsten Jahre miteinander verwoben: Die verwitwete Dina Dal kämpft um die Unabhängigkeit von der Gnade ihres Bruders leben zu müssen; ihr Untermieter Kohlah, der für den gesellschaftlichen Aufstieg vom Himalaya nach Bombay gezogen ist um dort zu studieren; der Onkel Isahvar und sein Neffe Omprakash, die als Schneider ihr Glück sich dem vorgezeichneten Leben in der untersten Kaste zu entziehen. Es ist kein schönes Buch, sondern eines, das vom Leben in Slums, von Zwangssterilisierungen im Namen staatlicher Familienplanung, von traditionellen Rollen- und Gesellschaftsstrukturen denen nicht zu entkommen ist, erzählt. Hoffnung und Mutlosigkeit wechseln sich ebenso ab, wie physische und psychische Gewalt und zerstörte Biographien ohne Ende. Indien-Verklärer die Reise-Erinnerungen auffrischen oder sich auf einen Aufenthalt dort vorbereiten wollen kommen sicher nicht auf ihre Kosten. Es ist ein Buch das man kaum mehr wegzulegen vermag, weil der Strudel der Ereignisse Leser ganz tief hineinzieht.

Es ist ein fantastisches Buch, aber keine nette Unterhaltungsliteratur. Aber es ist auf jeden Fall ein großartiger Beitrag dieses unfassbare Land ein bisschen mehr zu verstehen. Also, wer gern liest, wer gern mehr wissen mag und sich nicht scheut auch ein Buch ohne Happy End zu lesen, der greife doch bitte zu Mistry's "Gleichgewicht der Welt".

Montag, 14. September 2009

Umzingelt von Brahmanen

Die aufkeimende Nervosität strukturell Bevorteilter, wenn in manchen Teilen der Erde Bildungs-, politische oder Wirtschaftseinrichtungen diskutiert werden, kennen wir ja auch aus Österreich. Indien ist bezüglich sozialer Schichtung in allen Lebensbereichen natürlich ein Extrembeispiel. Zu den üblichen Diskriminierungsformen, wie Geschlecht, Herkunft oder soziale Schicht kommt noch das höchst komplexe und kulturell tief verwurzelte Kastenwesen. Das Kastensystem mit all seinen Undurchlässigkeiten hat Einfluss auf alle Lebensbereiche. Familienclans dominieren die politische Landschaft – die Gandhis sind da nur die Vorhut.
Auch in unserem sozialen und Arbeitsumfeld hier in Bangalore zeichnete sich nach ein paar Monaten Beobachtung ein klares Bild ab. Wir sind umgeben von Brahmanen und Personen mit ähnlich elitären oder zumindest ökonomisch außerordentlich guten Hintergrund. Anfangs wollten wir diese extrem differenzierte und auch starre Gesellschaftsordnung nicht so recht wahrhaben. Und wenn man danach sucht gibt es auch die Dalits, also die Unberührbaren, die in Politik oder Wirtschaft erfolgreich sind. Es ist aber so – bessere Netzwerke, mehr Geld, mehr Bildungschancen, selbstbewussteres
Auftreten etc. Da helfen alle Modernisierungsbestreben nichts, die Brahmanen beherrschen das Land.

Um diesen Umstand etwas entgegenzuwirken gibt es aber in Indien Quoten für benachteiligte Gruppen in Universitäten ebenso wie in der Politik. Im indischen Parlament sind daher 15% der Sitze für VertreterInnen dieser Gruppen reserviert. Im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh wurden im Februar 2008 sogar Quoten für die Privatwirtschaft eingeführt. Problem dabei ist natürlich, dass die Quoten zwar ein notwendiger, aber trotzdem nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind, um einer ungerechten Gesellschaft entgegenzuwirken. Auch profitieren dadurch fast ausschließlich die besser gestellten innerhalb der diskriminierten Gruppen. Trotzdem sind das sehr wichtige Maßnahmen um die Ungleichheit in der indischen Gesellschaft langfristig zu bekämpfen.

Ganz schön zurückgeblieben, könnte man da aus europäischer Perspektive meinen. Naja, so weit her ist es aber dann mit der sozialen Mobilität bei uns auch nicht. Zwar wird das gerne kaschiert und wie in Indien gibt es immer ein paar Vorzeige-Exemplare – die ArbeiterInnenkinder die studiert haben oder die Fleißigen oder MigrantInnen, die es trotz schlechter Voraussetzungen zu Wohlstand gebracht haben. Das Prinzip ist aber gleich wie in Indien – auch in Österreich entkommt man der Kaste kaum. Nur ganz so ausgesprochen ist das eben nicht.

Und jetzt diskutiert das indische Parlament übrigens eine Frauenquote und wird eine solche aller Voraussicht nach in dieser Legislaturperiode beschließen. Ganz schön fortschrittlich, könnte man da aus europäischer Perspektive meinen.

Dienstag, 4. August 2009

Verhext in Indien

Während der Zugfahrt oder mit der Auto-Rickshaw im Stau stehend kommen sie besonders gern. Mit ihrem affektierten Auftreten, dem etwas zu grellen Make-Up und dem Herumgeklatsche direkt vor den Gesichtern anderer sind sie leicht erkennbar: Die Hirjas – das 3. Geschlecht in Indien.
Die erste Begegnung hatten wir natürlich im Stau stehend. Mit uns unterwegs war Siddhart, der hier dem aufgeklärten Bildungsbürgertum der Brahmanen angehört und uns schnell über den Spuk aufklärte: „Ihr braucht ihnen kein Geld geben... Außer ihr habt Angst verhext zu werden!“.

Hirjas sind meist männlich, in seltenen Fällen sogar kastriert und laufen in Frauenkleidern (also Saris) herum – also das, was man gemeinhin als Transgender kennt. Sie sind die gute Fee und die böse Hexe gleichzeitig. Bei Geburten (vor allem bei den männlichen Nachkommen) sollen sie mit ihrer Anwesenheit für Glück und Fruchtbarkeit sorgen. Aber auch bei Hochzeiten oder Hauseinweihungen sollen sie mit ihren Tänzen und Ritualen Segen bringen – denn der Aberglaube besagt, dass sie mit ihrer sexuellen Kraft Segen oder Fluch erteilen können.

Auch wenn sie für ihren Segen etwas Geld bekommen - ein gutes Geschäft ist das nur für die wenigsten. Tatsächlich arbeiten viele als Prostituierte, Schätzungen zufolge sind 50 % der Hirjas in Mumbai HIV-positiv. Viele müssen Betteln (immer mit ein paar Verwünschungen auf den Lippen), in manchen Gegenden ist es auch noch üblich, dass sie für die indische Regierung die Steuern eintreiben. Eine Funktion, in der sie übrigens als sehr erfolgreich gelten. Grundsätzlich stehen sie aber am Rande der Gesellschaft, werden gemieden und in allen Lebensbereichen (Wohnen, Arbeiten, Bürokratie...) diskriminiert.

Bevor ich mich aber so richtig fertig gewundert und geärgert hab über die Rückständigkeit der indischen Gesellschaft, erreichte mich gerade noch rechtzeitig eine kleine Erinnerung aus meiner Mühlviertler Heimat. So viel fortschrittlicher geht es in Österreich dann mitunter auch nicht zu. Vor allem wenn es um den Umgang mit Homosexuellen, Transgender etc. geht.

Dienstag, 28. Juli 2009

Im Bus durch die ungeplante Urbanisierung

Als ich das erste mal gegenüber indischen Bekannten mein Vorhaben äußerte, anstatt mit der Auto-Rickshaw zukünftig mit dem Bus ins Büro fahren zu wollen schlug mir blankes Entsetzen entgegen. Busfahren ist was für Arme, wenngleich es mittlerweile auch klimatisierte Busse sogar inklusive Frühstücksservice gibt, um auch die aufstrebenden Mittelschichten für die Öffi-Benutzung zu gewinnen. Alleine die Busroute zum Büro herauszufinden war schon ein ziemliches Abenteuer. So etwas wie Fahrpläne gibt es nicht und vor Landkarten haben Inder sowieso Angst. So erklärte mir etwa auch Bernhards Arbeitskollegin Divya, als ich sie um Auskunft bat, ich solle erst mal den Stadtplan wegpacken, „because Indians become scared when they see maps“.
Letztendlich kam ich mit einer ungefähren Ahnung in welche Richtung ich muss nach 2,5 Stunden Busfahrt und viel Herumfragerei tatsächlich an. Die Fahrzeit konnte ich nach ein paar mal sogar auf etwa 70 Minuten reduzieren und ich musste nur mehr einmal statt dreimal zu Beginn umsteigen. Da bin ich aber extra früh los um die Rush Hour zu vermeiden.

In Bangalore ist das passiert, was das renommierte Indian Institute of Science (IISc) als „ungeplante Urbanisierung“ bezeichnet. Aus den 1,7 Millionen Einwohnern der „Garden City“ in den 70ern sind mittlerweile geschätzte 8 Millionen Menschen geworden, die in einer ständig am Rande des Zusammenbruchs stehenden Stadt wohnen. Die Infrastruktur ächzt unter diesem rasanten Wachstum und besonders augenscheinlich kommt das ganze im Verkehr zu tragen.

1000 neue Fahrzeuge täglich
Zwar wird fleißig an einer Metro gebaut, werden neue Buslinien eingerichtet und die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln durch verschiedene Dienstleistungen attraktiver gemacht. Trotzdem kommen zu den bereits vorhandenen 3,5 Millionen Fahrzeugen in Bangalore täglich beinahe 1000 neue dazu! Indiens Wohlstand wächst vorallem in Boom-Städten wie Bangalore und wer es sich leisten kann, möchte auch mit dem eigenen Fahrzeug unterwegs sein. Und der Mittelstand fährt hierzulande meist Kleinmotorräder – sie machen 70 % der Fahrzeuge aus. Weitere 15 % sind Autos, 10 % Busse und 5 % machen die Auto-Rickshaws aus.
Erklärtes Ziel der städtischen Transportunternehmen ist es, den Mittelstand in die Öffis zu bringen – kein leichtes Unterfangen. Statussymbole sind wichtig und nicht mehr mit den Armen im Bus zu sitzen wird als wichtige Etappe am Weg nach oben gesehen. An den täglichen Verkehrskollaps haben sich die Bangaloris ohnehin schon gewohnt.

Wer reich ist fährt übrigens SUV. Da unterscheiden sich die Inder wenig von den Europäern. Auch nicht in der beispiellosen Rücksichtslosigkeit ihres Fahrstils.

Dienstag, 21. Juli 2009

Der Guru, die .... ?

Eine weibliche Form von Guru gibt es nicht, so weit mir bekannt. Bzw. soll der Begriff angeblich auch nicht geschlechtsspezifisch sein. Gemeint sind damit jedenfalls Personen, die eine lehrende Funktion inne haben bzw. Anhänger um sich scharen (in religiöser, philosophischer, künstlerischer oder universeller Hinsicht).

Während meiner Tätigkeit beim indischen Ableger der Grameen Bank hier in Bangalore hatte ich ja nicht nur das Vergnügen, den überaus beeindruckenden Gründer und quasi Mikrokredit-Guru aus Bangladesh, Muhammad Yunus, kennenzulernen.
Mindestens ebenso beeindruckend - aber bei weitem nicht so bekannt - ist jedoch die Gewerkschafterin Ela Bhatt – wobei mir erst kurz vor dem Gespräch mit ihr dämmerte, mit wem ich es hier eigentlich gleich zu tun haben sollte. Nobelpreis hat sie im Gegensatz zu Yunus zwar keinen bekommen, aber die blitzgescheite, unglaublich kämpferische und hoch dekorierte Ela Bhatt hätte ihn wohl auch ebenso verdient. Mit der von ihr gegründeten Frauengewerkschaft SEWA verfolgt sie meiner Einschätzung nach einen Ansatz, der eine Spur radikaler ist. Sie hilft ebenso via Mikrokredite Frauen ihre Lebenssituation eigenständig zu verbessern – aber die Arbeit von ihr, ihren Mitstreiterinnen und Kreditnehmerinnen will mehr: einen substanziellen gesellschaftlichen und politischen Wandel.

Ein etwas ausführlicherer Artikel von mir über Ela Bhatt und ihre Arbeit ist in der aktuellen Ausgabe der Solidarität nachzulesen!